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Martina
Martina
Pflegefachkraft/ Beraterin

Weil ich nicht mehr nur funktionieren wollte

Weil ich nicht mehr nur funktionieren wollte
Martina arbeitete fast zwanzig Jahre mit Herz und Hingabe in der Pflege – bis sie merkte, dass sie sich selbst dabei verlor. Mit viel Mut wagte sie den Neuanfang, bildete sich weiter und fand in der Gesundheitsberatung eine neue Aufgabe, die ihr Kraft gibt, statt sie zu nehmen. Heute lebt sie bewusster, freier und ist stolz darauf, sich selbst nicht aufgegeben zu haben – und sie zeigt: Es ist nie zu spät, für sich selbst loszugehen.

Wer ich bin

Mein Name ist Martina, ich bin 43 Jahre alt und lebe mit meiner Familie in einer kleinen Stadt im Norden Deutschlands. Ich bin verheiratet, Mutter von zwei wundervollen Kindern, und ich liebe meinen Alltag mit all seinen Höhen und Tiefen. Früher hätte ich mir nie vorstellen können, einmal meine Geschichte aufzuschreiben und öffentlich zu teilen. Aber heute fühle ich, dass es wichtig ist. Vielleicht liest das hier ja jemand, der sich gerade so fühlt wie ich damals.

Fast zwanzig Jahre lang habe ich in der Pflege gearbeitet. Es war ein Beruf, den ich mir ganz bewusst ausgesucht hatte – ich wollte Menschen helfen, wollte für sie da sein, ihnen etwas von meiner Kraft geben. Aber je länger ich dabei war, desto stärker wurde das Gefühl, dass meine Kraft irgendwann nicht mehr reichen würde.

Die Arbeit war wunderschön und erfüllend, aber gleichzeitig auch sehr belastend. Ich bin ein emotionaler Mensch, vielleicht sogar ein bisschen zu emotional, wenn ich ehrlich bin. Ich habe oft nachts wach gelegen, an meine Patienten gedacht und mich gefragt, ob ich genug tue, ob ich genug geben kann. Das alles hat mir irgendwann gezeigt, dass ich an meine Grenzen stoße.

Vor etwa zwei Jahren habe ich gemerkt, dass ich etwas ändern musste. Nicht, weil ich die Pflege nicht mehr mochte, sondern weil ich spürte, dass ich dabei war, mich selbst zu verlieren. Ich wollte wieder Energie für mich haben, für meine Kinder, für meine Ehe – einfach für das Leben selbst.

Deshalb schreibe ich heute meine Geschichte auf. Weil ich mich getraut habe, einen Schritt zu wagen, von dem ich nicht dachte, dass ich ihn jemals gehen könnte. Und weil ich hoffe, anderen Frauen Mut machen zu können, auf ihre Gefühle zu hören und sich nicht davor zu scheuen, Veränderungen zuzulassen, egal wie groß und beängstigend sie auch erscheinen mögen.

Mein Leben in der Pflege

Wenn ich an meine Zeit in der Pflege zurückdenke, dann spüre ich sofort dieses warme Gefühl im Herzen – und gleichzeitig diesen Kloß im Hals. Es war nicht einfach nur ein Job für mich. Es war eine Aufgabe, fast eine Berufung. Ich habe es geliebt, für Menschen da zu sein. Ihre Hand zu halten, wenn sie Angst hatten. Mit ihnen zu lachen, wenn der Moment es zugelassen hat. Ich habe so viele Geschichten gehört, so viele Schicksale geteilt, dass ich manchmal das Gefühl hatte, mein Herz sei gar nicht mehr nur meins – sondern ein kleines Sammelbecken für all das, was diese Menschen mit mir geteilt haben.

Ich erinnere mich an Frau S., die mir immer ein Bonbon in die Hand drückte, wenn ich ins Zimmer kam. An Herrn M., der trotz seiner Schmerzen nie seinen Humor verlor. Solche Begegnungen waren es, die mir Kraft gegeben haben – echte, tiefe, menschliche Verbindung.

Aber genau diese Nähe war auch das, was mich langsam aufgerieben hat. Ich konnte nicht einfach abschalten nach der Schicht. Ich lag nachts wach, dachte an Patienten, fragte mich, ob ich alles richtig gemacht habe. Auch körperlich war es anstrengend – viele Stunden auf den Beinen, das Heben, das schnelle Reagieren.

Am schwierigsten war aber das Gefühl, nie wirklich fertig zu werden. Es war immer zu wenig Zeit für echte Gespräche, für das kleine Extra. Ich hetzte von Zimmer zu Zimmer, versuchte alles richtig zu machen, fühlte mich am Ende oft nicht genug.

Irgendwann saß ich morgens im Auto vor der Frühschicht und konnte nicht mehr. Ich war müde vom Funktionieren. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob ich noch aus Überzeugung arbeitete oder nur noch aus Pflichtgefühl.

Und trotzdem: Ich habe diesen Beruf geliebt. Aber ich musste erkennen: Ich bin an meine Grenze gekommen. Ich musste auf mich selbst hören – aus Selbstschutz.

Warum ich etwas ändern wollte

Es war ein Montag, Nieselregen, Spätdienst. Und plötzlich Tränen in den Augen – ohne Auslöser. Ich funktionierte nicht mehr. Ich wusste: Es geht so nicht weiter. Ich war für alle da – aber nicht für mich. Die Angst war groß. Wer bin ich ohne diesen Job?

Aber mein Wunsch, wieder Kraft zu haben, war größer. Für meine Kinder, meinen Mann, für mich. Also suchte ich. Und ich gab nicht auf.

Wie ich den Schritt in ein neues Leben gemacht habe

Ich fand eine berufsbegleitende Weiterbildung zur Beratungsfachkraft für Stress- und Burnoutprävention. Ich meldete mich an. Lernte zwischen Haushalt, Teilzeitjob und Familie. Es war anstrengend. Ich zweifelte. Aber ich fühlte mich wieder lebendig.

Nach der Weiterbildung bewarb ich mich bei einer Gesundheitsberatung – und bekam die Stelle! Heute helfe ich Menschen, ihre Grenzen zu erkennen. Ich habe Ängste überwunden. Ich bin gewachsen.

Die ersten großen Herausforderungen

Die ersten Wochen waren holprig. Ich war die „Neue“, die Quereinsteigerin. Ich fühlte mich fremd. Das erste Beratungsgespräch war schwer. Aber ich war ehrlich, klar – und es funktionierte. Ich lernte, mild mit mir zu sein. Suchte Austausch, schrieb wieder. Meine Familie unterstützte mich. Und ich lernte: Ich bin stärker als ich dachte.

Warum dieser Schritt genau richtig war

Heute arbeite ich in einer Praxis für Gesundheitsberatung. Mein Alltag ist klarer, ich habe wieder Luft im Kopf. Ich vermisse die Pflege manchmal – aber ich weiß: Ich habe den Mut gefunden, mich selbst wichtig zu nehmen. Veränderung ist möglich. Es reicht ein einziger Moment, um etwas Wunderschönes in Bewegung zu setzen.

3.8